A. Dvořák: Quartett Nr. 12, op. 96, F-Dur

"Gott sei's gedankt. Ich bin zufrieden. Es ist schnell gegangen". Dies sind die Worte, die Antonin Dvořák auf der letzten Manuskript-Seite des F-Dur-Streichquartetts, das er in wenigen Tagen – vom 08. bis zum 23. Juni 1893 – in der amerikanischen Kleinstadt Spillville/Iowa komponiert hatte, vermerkt. Die Sommermonate, die Dvořák hier im Kreis einer kleinen tschechischen Gemeinde verlebte, bedeuteten eine unbeschwerte Zeit der Entspannung nach dem hektischen Großstadtbetrieb von New York, wo der Komponist seit dem Herbst 1892 als Direktor des National Conservatory wirkte.
Ebenso wie weitere Werke aus dieser Zeit – die Sinfonie "aus der Neuen Welt" op. 95 und das Streichquintett op. 97 – zeigt auch op. 96 die meisterhafte Verknüpfung zweier musikalischer Welten: pentatonische Tonleitern der indianischen Folklore stehen neben Mollskalen mit verminderter siebter Stufe, wie sie für die tschechische Volksmusik typisch sind. Es gilt als gesichert, dass Dvořák in Spillville Indianern begegnete und diese ihm auf seine Bitte hin vorsangen und vortanzten. Die in diesen Werken auffälligen punktierten oder synkopierten Rhythmen lassen sich gleichermaßen auf böhmische wie auf nordamerikanische Tanz- und Liedtypen zurückführen. – Vielleicht ein Versuch, auf diese Weise das brennende Heimweh, das den Komponisten bei seinem Amerika-Aufenthalt plagte, in den Griff zu bekommen.
Auch wenn so manche Passage des 1. Satzes die weite Prärie und unberührte Natur widerzuspiegeln scheint, das Lento einen innigen Klagegesang im Wechsel von erster Violine und Violoncello zelebriert oder im Finale die packenden Rhythmen einen wilden Ritt auf dem Rücken der Pferde assoziieren, wollte Dvořák sein Werk aber nicht programmatisch verstanden wissen.
Vielleicht hat auch die äußerst konzentrierte formale Anlage des Quartetts – es ist die kürzeste Kammermusikkomposition Dvořáks überhaupt – mit dazu beitragen, dass es das mit Abstand beliebteste und bekannteste Werk des Autors wurde. Er selbst bemerkte dazu lediglich: "Als ich dieses Quartett schrieb, wollte ich etwas recht Einfaches und Melodiöses niederschreiben".

A. Pärt: „Fratres“ für Streichquartett

Der 1935 geborene Este Arvo Pärt zählt heute zweifelsohne zu den wichtigsten und bekanntesten Komponisten weltweit. Dabei zeichnet sich sein - nach einer neoklassizistischen und danach seriellen Kompositionsphase - prägender und unverkennbarer Stil durch große Schlichtheit im Klang und maximale Einfachheit im Aufbau der Stücke aus.
Pärt bemerkt dazu selbst: "Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus primitivem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonqualität. Die Klänge eines Dreiklangs wirken glockenähnlich. So habe ich es Tintinnabuli genannt."
Auch bei Pärts 1977 entstandener Komposition "Fratres" verhält es sich so wie eben erwähnt. Die zweite Violine hält das ganze Stück durch die Bordunquinte g-d aus und bildet damit gleichsam den "Goldgrund", wie bei einem mittelalterlichen Gemälde. Aus dieser Grundlage wird ein sechstaktiges Thema aufgebaut, wobei sich das aufs Strengste reduzierte Material nahezu ausschließlich aus den g-moll-Akkord und der harmonischen c-moll-Skala speist. Das Pizzicato das Violoncellos trennt diese Perioden voneinander ab und gliedert das Stück. Flageolett-Töne der ersten Violine und der Viola erzeugen einen durchsichtigen, schwebenden Klang. Durch die dynamische Bogenform und das beständige Absinken des Zentraltons von Abschnitt zu Abschnitt wird der Eindruck eines großen Ein- und Ausatmens vermittelt. Dies wiederum spiegelt die Absicht des Komponisten wider, der sich bei "Fratres" von der Spiritualität der großen Mystikerin Hildegard von Bingen inspirieren ließ. Dennoch stammt die vorliegende Fassung für Streichquartett - es gibt davon gleich einige verschiedene Varianten - nicht aus Pärts Feder; sie wurde von seinen Schülern vorgenommen. Pärt hat diese Bearbeitung erst nachträglich autorisiert.

D. Schostakowitsch: 1. Streichquartett in C-Dur, op.49

Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) wandte sich der Gattung Streichquartett relativ spät in seiner Karriere zu. Als er sein erstes Streichquartett im Jahre 1938 fertig stellte, hatte er bereits fünf Sinfonien, zwei Opern, drei Ballette, zehn Film-Musiken, Musik für acht Theater-Produktionen, ein Klavierkonzert und etliche Kammermusik geschrieben. Zwei seiner Sinfonien – die erste und die fünfte – waren bereits zu internationalen Klassikern geworden, als Schostakowitschs Musik von Stalin und dem Sowjet-Regime als obszön und geschmacklos von den russischen Bühnen verbannt wurde. Da beschloss Schostakowitsch, einen Zyklus von 24 Quartetten zu schreiben. – Obwohl es letztlich "nur" 15 wurden, zählt er damit zu den für diese Gattung fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Der Cellist Dimitri Mogilevsky und die anderen Mitglieder des Glasunow-Quartetts ermutigten Schostakowitsch, sein erstes Streichquartett zu schreiben: "Wir belästigten ihn ständig damit: "wann werden Sie endlich das Quartett schreiben, das Sie uns schon so lange versprochen haben? – Wir sind es leid, zu warten." Am Ende war er so genervt davon, dass er – um immer diese selben alten Fragen zu vermeiden – uns bei Zusammentreffen im Vorübergehen zurief. "ich schreibe es, ich schreibe es" und verschwand. Wie immer, wenn Schostakowitsch eine neue Komposition begann, arbeitete er schnell und beendete sein erstes Streichquartett in etwas mehr als sechs Wochen. Viele Jahre nach der Entstehung bemerkt Schostakowitsch dazu: "Ich begann, ohne spezielle Gedanken oder Gefühle zu schreiben und dachte, dass wohl nichts dabei herauskommen würde. Nach wie vor ist das Streichquartett eine der schwierigsten musikalischen Disziplinen. Ich schrieb die erste Seite als eine Art Übung in Quartett-Form, gar nicht im Gedanken an eine Vollendung oder Aufführung bis zu einem bestimmten Termin… Aber dann wurde ich von meiner Arbeit stark hineingezogen und ich vollendete es extrem schnell… Beim Komponieren stellte ich mir Szenen aus der Kindheit vor, ein wenig naiv und von heiterer Frühlingsstimmung überstrahlt."

G.F. Malipiero: Streichquartett Nr.3 „Cantari alla Madrigalesca“

Gian Francesco Malipiero (1882-1973) entstammte einem alten venezianischen Dogen- und Patriziergeschlecht. Diese Tatsache, sowie der Umstand, dass sowohl sein Großvater (Opernkomponist), als auch sein Vater (Pianist und Dirigent) Musiker waren, prägten sein Selbstverständnis und sein Leben entscheidend mit. Nach anfänglichen Studien der Harmonielehre, des Kontrapunkts und der Komposition in Wien, Venedig, Bologna und Berlin (bei Max Bruch) verschrieb er sich der Entdeckung der alten italienischen Musik. So gab er eine Gesamtausgabe der Werke Monteverdis heraus; später folgte eine Vivaldi-Edition.
Einen bleibenden Eindruck auf sein weiteres künstlerisches Schaffen hinterließ 1913 der Besuch der Uraufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ in Paris. – Nach eigenen Angaben vernichtete oder unterdrückte Malipiero nahezu alle Werke, die er vor diesem Erlebnis komponiert hatte. Abgesehen von kurzen Phasen in Rom, Parma und Padua verbrachte er sein Leben in Asolo bei Venedig. Neben der Kompositionsarbeit lehrte er am „Liceo Musicale“ in Venedig und gab Bücher zu musikgeschichtlichen Themen heraus.
Malipiero entwickelte seinen persönlichen kompositorischen Stil aus der offenen Gegenhaltung zu Traditionen des 19. Jahrhunderts. So lehnte er die thematische Arbeit entschieden ab, ohne sich jedoch dezidiert einer Hauptrichtung der Neuen Musik anzuschließen. Dafür orientierte er sich an den Mitteln der alten italienischen Musik: fortspinnende Form, kontrapunktischer Zusammenhang, Mäßigung des Aufwands und Präzision der Aussage. Harmonisch suchte er mit kirchentonalen Wendungen den tonalen Rahmen zu erweitern, klanglich fällt seine Vorliebe für lineare Strukturen auf. Die Modernität seiner Tonsprache wird durch bitonale, stark chromatische und auf Quartenkonstruktion beruhende Elemente gewahrt.
In den prinzipiell einsätzig gehaltenen Streichquartetten findet sich keine Sonatensatzform, keine Durchführung von Themen, kein weitgespannt konstruiertes Beziehungsgeflecht, sondern (Malipiero über das 3. Streichquartett): „der Klang der singenden Streichinstrumente, spielend singen sie, und der Charakter entsteht spontan aus ihrem Ausdruck“. Neben seinen acht Streichquartetten hinterlässt Malipiero ein reichhaltiges Werk: 35 Opern, 17 Sinfonien, zahlreiche weitere Orchester- und Vokalwerke und etliche Werke für kammermusikalische Besetzungen.

J. Haydn: Quartett in D-Dur, op.20 Nr.4

Mit den sechs Streichquartetten op.20 schafft Haydn, der später als "Vater des Streichquartetts" in die Geschichte eingehen sollte, im Jahre 1772 ganz Neues, tatsächlich bis dato "Unerhörtes". Zwar betitelt er auch diese Werkgruppe – wie schon op.9 und op.17 – als "Divertimenti", doch sprengt bereits der zeitliche Rahmen – Kopf- und Finalsatz des D-Dur-Quartetts übertreffen alle anderen der Gruppe in ihrer Dauer, ganz zu schweigen von der kompositorischen Dichte des Satzes und der Tiefgründigkeit der musikalischen Ideen – alles bisher Dagewesene. Die Bezeichnung "Sonnenquartette" verdankt diese Werkgruppe übrigens dem Titelbild der gedruckten Erstausgabe, die eben auf der ersten Seite eine Sonne zeigte, und nicht etwa programmatischen Inhalten. – Und doch könnte man aus dem Hauptthema des ersten Satzes des D-Dur-Quartetts, das sich mit ungewöhnlich markanter Geschlossenheit und Eindringlichkeit präsentiert, das Aufbrechen des Frühlings und das Erwachen der der Natur heraushören – in sonnigem D-Dur. Das verhalten-edle Thema des langsamen Satzes wird in drei Variationen – ausdrücklich als solche bezeichnet – kunstvoll durchbrochen und kehrt schließlich notengetreu "sotto voce" wieder, bevor der Satz mit einer freien, ausgedehnten und ausdrucksstarken Coda endet. Das Menuett, vielleicht ein Ausflug in die ungarische Umgebung von Schloss Esterháza, lebt aus dem reizvollen Kontrast zwischen dem die Taktordnung umstoßenden Hauptteil in ungarisch-zigeunerischer Art und der liebenswürdig-regelmäßigen Trio-Melodie im Violoncello. Das Finale ist durch und durch "scherzando", also geistvoll und kapriziös, dabei stets gehaltvoll mit konsequenter thematischer Arbeit und steht dem Kopfsatz quasi ebenbürtig gegenüber. Beethoven war von Haydns op.20 so begeistert, dass er die Partitur des ersten Streichquartetts daraus eigenhändig abschrieb.

J. Haydn: Quartett in D-Dur, op.64 Nr.5, „Lerche“

Haydns Lerchenquartett gehört zweifellos mit zu seinen bekanntesten Werken für Streichquartett. Es entstand im Jahr 1790 als sich bereits abzeichnete, dass seine Zeit auf Esterháza dem Ende entgegenging und neue Aufgaben – nun in London – auf ihn warteten. So ist der Kompositionsstil nicht mehr wie bei den bisherigen Streichquartetten auf ein kleines Publikum – bestehend aus wirklichen Musik-Kennern – ausgelegt, sondern soll mit eher sinfonischer Vorgehensweise und virtuosen Elementen ein großes Publikum in seinen Bann schlagen. Dies gelingt ihm hier vortrefflich: So schwingt sich die erste Violine im Hauptthema des ersten Satzes in Schwindel erregende Höhen, um dort zu jubi- und tirilieren. Doch die restlichen drei Instrumente fungieren aber keineswegs als "Statisten", deren Aufgabe es wäre, lediglich Füllstimmen und harmonischen Grund darzureichen; vielmehr erlebt man hier eine dialogische Gleichberechtigung der vier Instrumente, die Goethe zu seiner – inzwischen viel zitierten – Äußerung veranlasste: "Man hört vier vernünftige Leute sich unter einander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas abzugewinnen." Der zweite Satz gerät zur hauchzarten Arie für die erste Violine – und ist folgerichtig auch mit "Cantabile" überschrieben, was nach Leopold Mozart "das schönste in der Musik" ist. Unterbrochen wird diese Kantilene lediglich durch einen klagenden und tragischen Minore-Teil, doch schließlich geht alles gut aus. Das Menuett kommt polternd-burlesk daher; selbst die chromatischen Gänge des Trios entbehren nicht einer gewissen ländlichen Fröhlichkeit und Ausgelassenheit. Dann holt Haydn zu seinem letzten Schlag aus. Ein Bericht von 1801 erwähnt "eines der schwierigsten Stücke unter den neueren Quartetten von Joseph Haydn, das die größten Geiger Wiens kaum meistern können" und bezieht sich damit zweifellos auf das finale "perpetuum mobile" des Lerchenquartetts. – Auch heute noch eine gefürchtete Herausforderung jedes ersten Geigers!

J. Haydn: Streichquartett in d-moll op. 76 Nr.2 “Quintenquartett”

Die Werkgruppe op. 76, die der 65jährige Haydn im Jahre 1797 neben seiner Arbeit an der „Schöpfung“ schuf, gehört zu den wichtigsten Werken, die überhaupt für Streichquartett geschrieben wurden. Dabei kehrt der Begründer dieser Gattung, der diese sechs Quartette im Auftrag des Grafen Erdödy schrieb (deshalb auch „Erdödy-Quartette“), überraschend zur Polyphonie und den Elementen des strengen kontrapunktischen Satzes zurück und beweist einmal mehr seine absolute Meisterschaft in diesen Disziplinen. Dass ihm die Arbeit daran allerdings nicht so ganz leicht gefallen war, gesteht Haydn freimütig in einem Brief: „Die Welt macht mir zwar viele Komplimente, auch über das Feuer meiner letzten Arbeiten: aber niemand will mir glauben, mit welcher Mühe und Anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muss, in dem mich manchen Tag mein schwaches Gedächtnis und die Nachlassung der Nerven dermaßen zu Boden drückt, dass ich in die traurigste Lage verfalle und hiedurch viele Tage nachher außer Stand bin, nur eine einzige Idee zu finden“.

Das d-moll-Quartett op. 76 Nr. 2 ist besonders stark kontrapunktisch geprägt und verbindet die strengen Techniken mit düster-bizarren Tonfällen. Es wird nach dem Hauptmotiv des ersten Satzes, den beiden absteigenden Quinten, „Quintenquartett“ genannt. Auch wenn das spritzige Seitenthema erklingt, ist gleichzeitig das ursprüngliche Quintenmotiv zu hören. Es gelangt in der Durchführung durch Umkehrung des Intervalls, durch eng verzahnte Einsätze und Verkürzung der Notenwerte zu einem höchst komprimierten Ausdruck.

Im zweiten Satz „Andande o più tosto Allegretto“ fungiert die erste Violine als Primadonna, die auf hauchzarter Begleitung der anderen Instrumente ihre Arie zelebriert, bevor sie abhebt und sich in virtuosen Umspielungen der Melodie verliert. Im Menuetto jagen Viola und Violoncello in strengem Kanon den beiden Violinen hinterher; sie holen diese im Trio bei einem burlesken Tanz ein. Der letzte Satz legt Zeugnis ab von Haydns schier unausschöpflichem Einfallsreichtum und seiner übergroßen Schalkhaftigkeit. Immer wieder überrascht er den Zuhörer durch Abbrüche der Melodie, Einschübe, Wechsel des Tongeschlechts, ungewöhnliche Akzente und neue harmonische Wendungen. Fast möchte man an Haydns brieflichen Äußerungen zweifeln …

J. Suder: 2. Streichquartett in e-moll (1939)

Der 1892 in Mainz geborene Komponist Joseph Suder verbrachte und wirkte die meiste Zeit seines Lebens – er verstarb 1980 – in München. Dort hatte er an der Akademie der Tonkunst mit den Schwerpunkten Komposition, Klavier und Violoncello studiert. Hinzu kam noch ein Studium der Musikwissenschaft an der Universität.
Kammermusik nimmt im Schaffen Suders einen ganz besonderen Platz ein. Davon zeugen nicht nur seine drei Streichquartette, sondern auch ein Klavierquartett und ein Bläserquartett. Daneben gibt es auch zwei Sonaten für Violine und Klavier und etliche kleinere Werke für gemischte Besetzungen. Außerdem entstanden aus seiner Feder auch Orchesterwerke, Chorwerke, Klaviermusik, Lieder, sowie je eine Oper und eine Messe.
Suders Stil zeichnet sich durch eine dem Zuhörer zugewandte und einprägsame Melodik aus, die jedoch nie nur „süffig“ ist und dahinplätschert. Vielmehr bezieht sie ihre Strahlkraft aus dem Kontrast der Melodie zu der sie umgebenden Begleitung. Diese besteht oft aus einem sehr komplexen und sich gegenseitig ergänzenden bzw. überlagernden System von rhythmischen Strukturen. Harmonisch ist Suder zwar noch in einer spätromantischen Dur-moll-Tonalität verhaftet, jedoch erreicht er durch zahlreiche Tonartwechsel und permanente enharmonische Verwechslungen eine geradezu abgehobene, schwebende Wirkung. Der Hörer wird, obwohl von „Schönklang“ umgeben, beständig überrascht.
Was die Form anbelangt, so geht Suder vom klassischen Sonatensatz aus, verfremdet diesen jedoch so stark, dass er als solches nicht mehr wahrzunehmen ist. Übergeordnetes Prinzip war für ihn hierbei, die kontrastierenden Themen immer weiter einander anzugleichen und zum Ende des Stücks eine Lösung dieses Konflikts herbeizuführen. Traditionelle Satztechniken wie Fuge oder Kanon beherrscht der Komponist meisterhaft und wendet sie fast unmerklich an.
Das zweite Streichquartett ist eines der am häufigsten gespielten Werke Suders. Der zweite und dritte Satz gehen direkt ineinander über.

L.v. Beethoven: Quartett in c-moll, op.18 Nr.4

Das c-moll-Quartett von Beethoven fällt nicht nur wegen seiner Tonart, sondern vor allem wegen seiner pathetisch-leidenschaftlichen Ausdruckshaltung aus dem Rahmen der übrigen Werke der Quartettserie op. 18. Ist es zwar – 1799 entstanden – des Autors frühen Werken dieser Gattung zuzurechnen, hat es doch alles, was ein "echter Beethoven" braucht: pulsierende Unruhe, drängende Leidenschaft, aufbegehrende Intervallsprünge, hitzige Läufe, überraschende Akzente, Steigerung der Dynamik ins Extreme, aber auch lyrische Elemente, freilich jedoch nie ohne den Hang zum Dramatischen, was sich im zweiten Teil des ersten Satzes sogar noch weiter zuspitzt. So endet der erste Satz regelrecht düster mit dem Doppelschlag-Motiv, das als Kernmotiv des Hauptthemas diesen Kopfsatz maßgeblich prägt. Ganz anders der zweite Satz: Hier bringt die zweite Violine im Andante scherzoso mit dem graziösen Thema, mit dem sie beginnt, geradezu Entspannung und tänzerische Gelöstheit. Die anderen Instrumente stimmen kanonartig mit ein und so entspinnt sich ein kapriziöses Wechselspiel von Achteln und Sechzehntel-Läufen. Das Menuett knüpft mit seinen vielen Sforzati und dem leidenschaftlichen Ton an den Duktus des ersten Satzes an. Im Trio legt Beethoven repetierende Triolenketten über bewegtes Linienspiel der übrigen Stimmen. Für die Wiederholung verlangt er ausdrücklich eine Beschleunigung des Tempos als Mittel dramatischer Intensivierung. Das Rondo-Finale mit seinem widerborstigen Hauptthema und seinen episodischen Wiederholungen nimmt ganz klar Bezug auf einen Lehrer Beethovens: Joseph Haydn! Das Thema stürmt mit heftigen Akzenten dahin. Ein kantabler Gedanke von elegant-strömendem Fluss vermag die Erregung des Satzes nicht zu lähmen, der mit drei heftigen Triolen-Schlägen schließt.

P. Glass: Company in vier Sätzen

Der amerikanische Komponist Philip Glass (* 1937) zählt neben Steve Reich und Terry Riley zu den wichtigsten Vertretern der „Minimal Music“. Diese Art von Musik besteht aus sogenannten Patterns, kleinen Bausteinen, die unablässig wiederholt werden und sich dabei nur unwesentlich verändern. Dadurch erhält die Musik einen fast schon meditativen Charakter. – Tatsächlich hat Glass in den 60er Jahren fernöstliche Spiritualität eingehend kennengelernt und ist Musikern wie Ravi Shankar begegnet und hat in Indien von ihnen gelernt.

Das kurze Werk „Company“, welches das zweite Streichquartett von Glass darstellt, wurde eigentlich als Bühnenmusik für eine New Yorker Theatergruppe konzipiert, nach einem Text von Samuel Beckett:

„A voice comes to one in the dark. Imagine.

To one on his back in the dark a voice tells of a past. With occasional allusion to a present and more rarely to a future as for example, You will end as you now are. And in another dark or in the same another devising it all for company. Quick leave him.”

Samuel Beckett

Die vier kurzen Sätze bilden die minimalistische Komponierweise in geradezu idealer Weise ab: die stereotypen Figuren, die von jedem Instrument unzählige Male wiederholt werden, ergeben ein harmonisches Klanggebilde, Dissonanzen bleiben fast gänzlich ausgespart. Eine melodische Fortspinnung der Motive oder Linien findet nicht statt. Durch die strenge Wiederholung des meist vier- oder achttaktigen Schemas entsteht unwillkürlich der Eindruck einer barocken Passacaglia.

Der amerikanische Theaterregisseur Peter Sellars beschreibt die Wirkung von Glass´ Musik so: „Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich“.

R. Schumann: Streichquartett in a-moll, opus 41 Nr. 1

Bevor sich Robert Schumann überhaupt an die Komposition von Streichquartetten wagte, studierte er die Werke derjenigen, die das klassische Streichquartett „erfunden“ und entwickelt hatten: Haydn, Mozart und Beethoven. Ehrfurcht und Respekt vor diesen Werken verzögerte Schumanns Zeitpunkt, selbst für diese Gattung zu komponieren. Erst mit 32 Jahren schrieb er seine drei Streichquartette op. 41, und zwar im "Kammermusikjahr" 1842, in dem außerdem noch das Klavierquintett und das Klavierquartett und damit die Gipfelwerke seiner romantischen Kammermusik entstanden.

Der Widmungsträger sollte Felix Mendelssohn-Bartholdy sein, auch das geradezu programmatisch. Denn Schumann orientierte sich vor allem an Mendelssohns Umgang mit den Klassikern. Nicht die Konfliktdramaturgie der späten Beethoven-Werke wählte Schumann zum Vorbild, sondern machte sich Mendelssohns Blick zurück auf den strengen klassischen Kanon der Vorgänger zu eigen. Wie sehr Schumann seinen nur ein Jahr älteren Kollegen Mendelssohn schätzte, formulierte er bereits 1836 in einem Brief an seine Schwägerin Therese, wo er schrieb, er habe zu Mendelssohn stets „wie zu einem hohen Gebürge“ aufgeschaut. Mendelssohn war bei der Leipziger Uraufführung von Schumanns Streichquartetten im privaten Kreis zugegen und berichtete: „Von Schumann wurden mir drei Violinquartetten vorgespielt, deren erstes mir ganz außerordentlich wohl gefiel."

Ruhig fließende, imitatorisch geführte Linien prägen die Introduktion des ersten Satzes. Eine energische Modulation führt in den F-Dur-Hauptsatz, dessen melodisch auf- und absteigendes, lyrisch strömendes Hauptthema im 6/8-Takt dahingleitet. Dessen Reichtum ermöglicht motivische Abspaltungen und Varianten, ein echter Kontrast im beethovenschen Sinne bleibt jedoch im zweiten Thema aus. Dafür wirkt dieser Satz „wie aus einem Guss“ und wird von konfliktloser Lebendigkeit und warmer Empfindung geprägt.

Schumann stellt die klassische Satzreihenfolge um und so jagt im zweiten Satz ein Scherzo, das dem Hauptthema des ersten Satzes durchaus verwandt ist (ebenfalls 6/8-Takt), in a-moll dahin. Der anfänglich scharfe Trommel-Rhythmus verwandelt sich zusehends in gefälligere kapriziös-virtuose Formen. Das als „Intermezzo“ bezeichnete Trio überrascht durch süßlich schwebende Klänge in c-Dur, bevor der Trommel-Rhythmus des Scherzos erneut jäh einfällt.

Der langsame dritte Satz wird geprägt durch die langen, weit ausschwingenden Linien, mit denen sich das Violoncello und die erste Violine abwechseln. Hier stand nun wirklich der große Beethoven Pate. Vor allem die Mittelstimmen sorgen mit ihren kontrapunktierenden, unruhigen Linien für Bewegung in diesem ansonsten sehr ruhig dahinfließenden Satz, der ebenso ruhevoll verklingt.

Das Presto-Finale stürmt zunächst in a-moll, später dann in A-Dur alla breve kraftvoll nach vorne. Beherrscht wird dieser Satz von zwei markanten Themen: einem energischen Quint-Aufschwung mit anschließendem marschartigen Abstieg und kadenzierenden, immer wieder nach oben gerichteten Terzentonleitern. Alle weiteren prägnanten thematischen Gebilde sind Varianten dieser beiden Grundmotive. Kurz vor dem Ende bringt ein plötzlicher Moderato-Einbruch unvermittelt Stillstand: über bordunartigen Klängen taucht ein neues dudelsackartiges Thema auf. – Vielleicht eine Reminiszenz an Haydn? Allerdings wird dadurch das sich anbahnende kraftvoll-brillante Ende nur kurz spannungsvoll verzögert.

W.A. Mozart: Streichquartett in d-moll, KV 421

In der Wiener Zeitung und der Wiener Realzeitung war am 17. und 18. September 1785 folgende Anzeige zu lesen:

„In der Kunsthandlung Artaria Comp. ... sind zu haben: Vom Herrn Kapellmeister W.A. Mozart 6 ganz neue Quartetten für 2 Violinen, Viola und Violoncell, Opus X, gestochen, pr. 6 fl. 30 kr. --- Mozarts Werke bedürfen keines Lobes, einiges anzuführen würde also gänzlich überflüssig seyn; nur kann man versichern, daß solches ein Meisterstück sey.“

Die Meisterwerke, um die es sich bei diesen Stücken handelt, sind uns heute als Mozarts sogenannte „Haydn-Quartette“ bekannt. Der Jüngere hatte sie gewissermaßen als „Hommage“ dem väterlichen und verehrten Komponistenfreund gewidmet. Dabei war Mozart, der bereits durchaus Werke dieser Gattung zu Papier gebracht hatte, durch die bahnbrechenden Neuerungen und jene die Gattung „Streichquartett“ eigentlich erst ausmachende Gleichberechtigung der Instrumente in Haydns Opus 33 angeregt worden.

Folgerichtig hatte Mozart diese Quartette also nicht nur „al mio caro amico Haydn“ gewidmet, sondern diesen am 15. Januar und am 12. Februar 1785 zu zwei denkwürdigen Quartettabenden in sein Haus eingeladen. Leopold Mozart spielte die erste, sein Sohn die zweite Geige, Viola und Cello lagen in den Händen der Freiherren Anton und Bartholomäus Tinti. Haydn war so beeindruckt davon, dass er bei dieser Gelegenheit Vater Mozart sein berühmtes Kompliment über den Sohn machte: “Ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.”.

Beim d-moll-Quartett KV 421 handelt es sich vielleicht um eines der eindringlichsten Werke Mozarts. Es ist das einzige Mollquartett unter den „Zehn großen Streichquartetten“ und nimmt bereits durch die Tonart zwei prägende und tragische Werke vorweg: Don Giovanni und das Requiem. Eventuell hatte dies auch damit zu tun, dass sich Mozart mit seiner Frau in einer für die beiden ungewohnten und spannenden Situation befand: die Entstehungszeit des Quartetts fällt zusammen mit Constanzes Schwangerschaft und Geburt des ersten Sohnes Raimund Leopold.

“Zur Zeit, als seine Frau zum ersten Mal in Kindesnöthen war, arbeitete er sogar an dem zweyten der sechs Quartetten, welche er 1785 Joseph Haydn widmete. Diese Umstände waren gewiss nicht zum Notendenken geeignet, da er nie am Claviere componirte, sondern die Noten zuvor schrieb und vollendete, und sie dann erst probirte; und dennoch belästigte ihn nichts, wenn er in dem Zimmer arbeitete, wo seine Frau lag. So oft sie Leiden äusserte, lief er auf sie zu, um sie zu trösten und aufzuheitern; und wenn sie etwas beruhigt war, ging er wieder zu seinem Papier. Nach ihrer Erzählung wurden der Menuett und das Trio gerade bey ihrer Entbindung componirt.”(Nikolaus von Nissen, Constanzes zweiter Ehemann).

Im ersten Satz schlägt sich Mozarts Auseinandersetzung mit der Musik der Bachfamilie nieder, die er 1782/83 im sonntäglichen Musikzirkel des Barons van Swieten intensiv studierte. Die Melodik ist wie in den Werken Carl Philipp Emanuel Bachs vom “redenden Prinzip” durchdrungen. Sie wirkt extrem deklamatorisch schon in den weit ausholenden Gesten der ersten Violine zu Beginn, besonders aber in der gleichsam stockenden Überleitung. Nur das Seitenthema entfaltet wienerisch-klassische Gesanglichkeit. In der Durchführung staut sich durch Bachschen Kontrapunkt und extreme Vorhaltsdissonanzen eine solch große Spannung auf, dass sie sich nur in einer befreienden Quintfallsequenz lösen kann. Die Reprise verharrt durchweg in moll und endet in einem Ton tragischer Resignation, den man schon “schubertisch” nennen könnte.

Im Andante werden die musikalischen Schärfen durch ein subtiles Spiel mit Licht und Schatten, Dur und moll, laut und leise ersetzt. Im weich-schwingenden Duktus des Sechsachteltakts meint man zunächst, eine idyllische Pastorale zu hören. Doch rasch gerät der melodische Fluss ins Stocken und pendelt unentschieden zwischen zögerlichem Aufblühen, “sprechenden” Pausen und wiegendem Sich-Aussingen hin und her. Die Lautstärke wechselt ständig zwischen Piano und zaghaften Ansätzen zum Forte, die Harmonik schweift immer weiter in Mollregionen ab, bis sich beides - Forte und moll - im Mittelteil kurz, aber heftig entlädt.

Der barockste Satz ist das Menuett, das mit Exclamatio-Figuren über dem chromatischen Lamentobass der Barockzeit arbeitet. Gerade diesen Satz hat Mozart nach dem Zeugnis seiner Frau während der Entbindung Constanzes komponiert. In den Ausrufen der ersten Geige soll er ihre Schmerzensschreie nachgeahmt haben. Umso friedfertiger ist das Trio: eine kleine Serenade in D-Dur für Solovioline mit Pizzicato-Begleitung. Es ist eine Willkommensmusik für den kleinen neuen Erdenbürger, dem Mozart seinem eigenen Vater zu Ehren den Namen Raimund Leopold gab. “Ich gratuliere, Sie sind Gros-Papa! - gestern früh den 17. um halb 7 uhr ist mein liebes Weib glücklich mit einem großen, starken und kugelrunden Buben entbunden worden,” schrieb Mozart an den stolzen Großvater nach Salzburg.

Das Variationenfinale erinnert daran, dass Mozart in den Jahren 1778 und 1781 in Paris und München seine Erfahrungen als Ballettkomponist gesammelt hatte: Es beruht auf einem Tanz im punktierten Rhythmus “alla française”, den man - je nach Tempo - als Sicilienne, Forlane oder Gigue deuten kann. Vorboten des überaus einprägsamen Themas finden sich schon in Mozarts Violinsonate KV 377, doch auch eine Anspielung auf das Es-Dur-Quartett aus Haydns Opus 33 mag sich dahinter verbergen. Das melodische Espressivo und der Tanzrhythmus steigern sich im Lauf der Variationen zu größter Intensität, bis sie in der schnellen Coda fast gespenstische Züge annehmen – der Don Giovanni wirft seinen Schatten schon voraus.

© Amun-Quartett / Stefan Kellermann